Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Solche Fälle gibt es nicht erst seit der MeToo-Debatte. Wir haben Opfer und auch einige angebliche Belästiger vertreten.  

Wann liegt eine sexuelle Belästigung im Arbeitsrecht vor? Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Allerdings gilt hier im Unterschied zu Mobbing-Handlungen: Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen.Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert nicht, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (So das BAG).

Sowohl der Kuss auf die Wange als auch der Inhalt eines Chats können eine sexuelle Belästigung darstellen. Demnach kann im strafrechtlichen Sinne eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreicht, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter hat. Bei sexueller Belästigung geht es, wie das Landesarbeitsgericht Köln 2018 festgestellt hat, um Machtausübung. Diese Machtausübung ist es, die beim Opfer Angst und Schuldgefühle verursacht. Erst wenn der Machtausübende nicht mehr vor Ort ist und keine Macht mehr ausübt, sei für viele Opfer der Zeitpunkt gekommen, Angst und Schuldgefühle zu überwinden und sich zu offenbaren. Insofern sind „verspätete“ Reaktionen bei Opern durchaus nachvollziehbar, sodass ihnen hieraus regelmäßig kein prozessualer Nachteil erwächst.

Das Bundesarbeitsgericht hat 2017 einige Grundsätze zum Thema entwickelt: Der eine Kündigung wegen Verdachts einer Straftat begründende Tatverdacht müsse auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende Tatsachen gestützt sein und zudem dringend sein. Die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Vorwurfs muss hoch sein. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße  Verdächtigungen reichen nicht aus.

Häufig laufen zu solchen Verfahren parallel Ermittlungs- und Strafverfahren. Entscheidungen im Strafverfahren binden die über die Wirksamkeit einer (Verdachts-)Kündigung befindenden Gerichte für Arbeitssachen aber nicht. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist insoweit eigenständig und hat alle relevanten Umstände selbst zu würdigen. Selbstverständlich kann ein Freispruch im Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt einer Entlastung des Betroffenen gerade bei der Verdachtskündigung Bedeutung gewinnen.  Es reicht nach dem Bundesarbeitsgericht aus, wenn Tatsachen festgestellt worden sind, die den Verdacht zumindest wesentlich abschwächen.

Eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein vom Arbeitnehmer gezeigtes strafbares Verhalten oder eine sonstige erhebliche Pflichtwidrigkeit kann sich zwar daraus ergeben, dass ein oder mehrere Zeugen übereinstimmend ein bestimmtes Verhalten ähnlicher Natur oder ähnlichen Inhalts schildern. Dies erfordert aber eine sorgfältige, mögliche Fehlerquellen umfassend berücksichtigende Auseinandersetzung mit der Glaubhaftigkeit der jeweiligen Aussage und der Glaubwürdigkeit der Zeugen. Dabei sind auch nach dem Kündigungszeitpunkt eingetretene Umstände zu berücksichtigen, insbesondere etwaige Änderungen von oder Widersprüchlichkeiten in den Aussagen von Belastungszeugen.

Wenn Sie in diese Situation geraten, sind wir gerne bereit, ihnen diskret und umfassend zu helfen.

Rechtsanwalt Dr. Palm